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All you need Tage wie dieser

Black Friday

Der Tag, an dem Händler in der Stadt und im Netz die Preise ganz tief sinken lassen. Damit sinkt auch die natürliche Kauf-Hemmschwelle bei den Konsumenten. Wenn da eine 50% auf einem schwarzen Hintergrund erscheint, heißt es: Zugreifen! So einen Deal gibt es nur einmal!

Der Tag, an dem Menschen also unglaublich viele Dinge kaufen. Die Frage nach dem Wozu oder Wofür tritt bei solchen Angeboten in den Hintergrund. Erst werden Warenkörbe und Einkauftüten gefüllt, dann Schränke, Regale, Keller; erst die eigenen und dann die der anderen: So macht Schenken Freude!

Der Tag, an dem es keine Rolle spielt, woher das Produkt kommt und wohin das Produkt geht. Denn es muss schnell gehen! Nur noch heute gilt der Deal. Produktionsbedingungen, Entsorgungsfragen – müssen leider hinten anstehen (am besten maskiert und mit viel Abstand).

Der Tag, an dem modernes Leben auf Konsumieren reduziert wird. Ich kaufe, also bin ich – ein gut funktionierender Teil unserer Konsumgesellschaft. Und ich bin damit auch gut beschäftigt. Es gilt ja Pakete auszupacken, anzuprobieren, Retouren einzupacken, Finanzierungen zu regeln.

Der Tag, der Millionen von Paketen auf die Straße bringt. Und vor unser Haus. Kontaktlos und meistens richtig schnell. Einkaufen war noch nie so einfach wie heutzutage: Mausklick – das klingt niedlich.

Ein Tag, an dem ziemlich viel richtig verkehrt läuft – nur der Name stimmt:

BLACK FRIDAY – Ein wahrhaft schwarzer Tag.

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All you need system(ir)relevant

Meine Existenz

die wirtschaftliche jedenfalls – ist nicht bedroht. (*)

Das war mir im Grunde meines Herzens zwar bewusst, aber nun habe ich es schwarz auf weiß, bescheinigt von ganz offizieller Seite:

Das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau in Baden-Württemberg hat meinen Antrag auf die „Soforthilfe Corona“ postwendend abgelehnt, weil die Fakten, die ich zur Begründung liefern konnte (Ausfall von Honorarzahlungen für ein knappes VHS-Semester), keine existenzgefährdende Wirtschaftslage erkennen lassen“.

Nein, meine Existenz hängt natürlich nicht von dieser Dozentinnen-Tätigkeit ab, und deshalb hab ich auch lange gar nicht daran gedacht, das vierseitige Online-Formular auszufüllen.

Aber dann lief Anfang Mai die heute-show mit einer Satire über Steuervermeidung einiger deutscher Dax-Konzerne, und die brachte mich ins Nachdenken. Schließlich dachte ich Folgendes: Wenn diese Firmen den Staat durch die Gründung von Tochtergesellschaften auf den Caiman-Inseln zuerst um eine Menge Steuern bringen, nach vier Wochen Kurzarbeit nun scheinbar ruiniert sind, und jetzt völlig schamlos Hilfen von der gleichen öffentlichen Hand einfordern, dann bin ich doch mal so richtig dreist und schicke diesen Antrag ab! Manchmal muss man einfach was Verrücktes tun…

Aber zurück zur guten Nachricht meiner offensichtlich unbedrohten und damit nicht förderwürdigen wirtschaftlichen Existenz. In Kombination mit der ebenso nachgewiesenen Irrelevanz für das System steckt für mich darin ein großes Stück Freiheit!

Und ganz praktisch habe ich durch die Ablehnung sogar einen realen Zeitgewinn, denn ich muss mir nicht überlegen, was ich mit dem Geld mache oder wofür ich es ausgebe und spare somit unzählige Stunden des Suchens und Entscheidens.

Zeit, in der ich schreiben kann😉

(*) Für den restlichen Teil gilt immer noch: https://www.systemirrelevant.de/tag/leben-und-tod/

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All you need OHNE... Veränderung

Oben Ohne

Mittlerweile liegen 49 Tage wechselnde Corona-Zustände hinter uns, und für mich wird es höchste Zeit, eine neue Kategorie einzuführen. „Ohne…“ soll sie heißen, denn was wir derzeit ausprobieren können, ist ein Leben ohne gewisse Selbstverständlichkeiten; die einen sind uns lieb, deshalb vermissen wir sie, die anderen haben uns irgendwie schon immer geärgert. Beginnen möchte ich mit dem Blick nach oben:

Es ist der 3. Mai, und die Sonne scheint am strahlend-blauen Himmel. Dort ist immer noch kein Kondensstreifen weit und breit sichtbar, und bei Nacht stehe ich unter einem Sternenhimmel (fast) ohne künstliche Flugobjekte. Vor hundert Jahren war das die Normalität. Wer weiß – vielleicht wird es irgendwann wieder eine Zukunft geben ohne Flugzeuge, die über den Himmel schweben. Eine Welt „oben ohne“ sozusagen. Und wenn es soweit käme, wie würden künftige Generationen wohl zurückblicken auf die Zeiten der Luftfahrt?

Ein interessantes Gedankenspiel, das im „Book of Life“ sehr anschaulich beschrieben ist. Ein Märchen aus der Zukunft sozusagen:

Eine Welt ohne Flugreisen

Seit Jahren hören wir, dass es wichtig sei, weniger zu fliegen; heute stellen wir uns mal eine Welt vor, in der die Menschen gar nicht mehr fliegen würden.

In dieser Zukunft werden Kinder zu Füßen der Alten sitzen und unerhörten Geschichten lauschen über eine mythische Zeit, als riesige komplizierte Maschinen so groß wie mehrere Häuser sich in die Lüfte erhoben und hoch über dem Himalaya und der Tasmanischen See dahinflogen.

Die weisen Ältesten würden erklären, dass im Inneren des Flugzeugs Passagiere waren, die für dieses Privileg nur den Preis von ein paar Büchern gezahlt hatten; ungeduldig und undankbar verdeckten sie mit Jalousien den Ausblick aus dem Fenster; schweigend saßen sie neben Fremden und beschwerten sich über das Essen in Miniatur-Plastik-Geschirr, das nicht so schmackhaft war, wie das in der eigenen Küche Zubereitete.

Die Ältesten würden hinzufügen, dass die Himmel, die jetzt nur von durchziehenden Schwärmen von Bienen und Spatzen gestört wurden, früher vom donnernden Geräusch der Luft-Giganten gebebt hatte, und dass die Städte dieser Welt zu weiten Teilen durch deren Start- und Landebetrieb erschüttert worden waren.

Vielleicht erwähnen sie, dass empfindsame Menschen in Fulham, einem Vorort des alten London, aufgrund des unablässigen Anflugs von Aluminiumröhren aus Canada und der US-amerikanischen Ostküste, selten länger als bis halb sechs Uhr am Morgen hatten schlafen können.

Am JFK, inzwischen zum Museum geworden, könnte man ganz gemütlich über die beiden Hauptstartbahnen gehen und sogar der Versuchung nachgeben, sich im Schneidersitz direkt auf die Mittellinien zu setzen – eine Geste mit ähnlich erhabenen Schauer, wie das Berühren eines abgeschalteten Hochspannungskabels. […]

Natürlich würde alles sehr langsam gehen. Um nach Rom zu kommen, würde man zwei Tage brauchen, und einen Monat, um endlich jubelnd im Hafen von Sidney einzusegeln. Und doch wären gerade mit dieser trägen Langsamkeit auch Vorteile verbunden.

Diejenigen, die das Zeitalter der Flugzeuge erlebt hatten, würden sich an die Verwirrung erinnern, die sie – nur Stunden nach dem Aufbruch von Zuhause – bei der Ankunft in Mumbai oder Rio, Auckland oder Montego Bay empfunden hatten; die leichte Übelkeit und Verwirrtheit, durch die sich das alte arabische Sprichwort bewahrheitet, nachdem die Seele immer nur so schnell reist wie ein Kamel.

Was immer die Vorteile der massentauglichen und bequemen Luftfahrt auch sein mögen, wir könnten sie auch verfluchen – weil sie schlicht zu einfach ist, zu unspektakulär – und dass sie dadurch unsere aufrichtigen Versuche zunichte macht, uns selbst durch unsere Reise zu verändern.

Die bequeme, massentaugliche Luftfahrt hat zweifellos ihre Vorteile. Dennoch hätten wir allen Grund, sie zu verfluchen: Denn sie macht das Reisen zu einfach, zu unspektakulär, und damit untergräbt sie unsere aufrichtigen Bestrebungen, uns selbst zu verändern auf unseren Reisen. […]

Trotz all dem Chaos und den Unannehmlichkeiten durch unsere vereitelten Flugpläne: Wir sollten dem Virus dankbar sein. Es erlaubt uns, für einen kleinen Moment darüber nachzudenken, worum uns eine flug-freie künftige Welt sowohl beneiden als auch bedauern würde.

Englisches Original unter: https://www.theschooloflife.com/thebookoflife/a-world-without-air-travel/

Ich, als Einmal-im-Leben-Fliegerin, habe großen Spaß an so einer Vorstellung. Wahrscheinlich werde ich noch nicht bei den Alten sein, die den Kindern solche Geschichten erzählen. Aber auch Pferdewagen galten einst als großartige Innovation für die Mobilität, und die finden unsere Kinder ja auch fast nur noch in Museen.

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All you need Corona-Zeiten

Leere Regale

Als ich zum ersten Mal von den angeblichen Hamsterkäufen hörte, hab ich dem nicht viel Bedeutung beigemessen. Bei unserem Überfluss an Waren würde es keinen Unterschied machen, wenn ein paar besonders besorgte Mitmenschen mehr kaufen, als sie für die kommende Woche brauchen. Zwei Tage später stand ich dann aber selbst vor den leergeräumten Mehl, Nudel-, und Klopapierregalen und verstand die Welt nicht mehr. Meines Wissens hatte es keine Warnungen vor Verknappung und auch keine Ankündigung eines Verbots von Einkäufen gegeben. Was also könnte die Menschen bewegt haben?

Ich stelle mir folgendes Szenario vor:

Die Rede von der zweiwöchigen Quarantäne zum Beispiel könnte dazu geführt haben, dass Frau K. eben noch statt einem Paket Mehl lieber zwei eingepackt hat. Gleichzeitig hat sich Familie R. erinnert, dass das häusliche Nudelregal eh nicht gut bestückt ist und hat entsprechend zugegriffen. Herr P. sieht die beiden mit Grundnahrungsmitteln gut gefüllten Einkaufswägen und geht nach telefonischer Rücksprache mit seiner Frau noch einmal durch den Markt, um das Nötige zu holen. Alle drei reden am Abend mit ihren Nachbarn über die Einkäufe, und dass man zum Glück noch alles bekommen habe. Hierdurch alarmiert machen sich die Nachbarn plus deren Bekannte am nächsten Tag auf, um ihrerseits Mehl, Nudeln und Klopapier zu kaufen, bevor…

Und damit entsteht dieser Sog, genau das zu kaufen, was knapp scheint, und ich kann mich ihm vor den fast leeren Regalen kaum entziehen. Es braucht eine ordentliche Willensanstrengung, um nur das in meinen Korb zu legen, was ich für diese Woche brauche.

Panik entsteht bekanntlich durch Verknappung, was an Aktionstagen beim Discounter besonders gut zu beobachten ist. Hier sorgt der Markt selbst durch die limitierte Bereitstellung von Waren dafür, dass die Menschen genau diese knappe Gut wollen und in den Laden strömen.

Dass wir als VerbraucherInnen durch angstgeleitetes und damit unvernünftiges Kaufverhalten selbst für die Verknappung sorgen, ist ein neues Phänomen. Aber damit liegt die Lösung auch bei uns – und das wiederum ist die gute Nachricht.