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Corona-Zeiten Veränderung

Höchste Zeit

Wenn Professor Marx (Intensivmediziner am Klinikum in Aachen und noch vieles mehr) recht hat, dann haben wir im Spätsommer/September „genug verimpft“, „die Herdenimmunität erreicht“ und damit „die Pandemie bewältigt“. (1)

Gehen wir einfach mal davon aus (mit einem Augenzwinkern vielleicht), dass es tatsächlich so weit kommt. Und nehmen wir auch noch an – oder erinnern uns – dass „durch Corona“ einiges in Frage gestellt wurde in unserem persönlichen, gesellschaftlichen und globalen Leben. Viele sind ins Nachdenken gekommen: Was ist wirklich wichtig für mich, für uns, für ein gutes Zusammenleben?

Sollte also wirklich das vorläufige Ende der Pandemie mit ihren Einschränkungen in Sicht sein, und wollten wir ernsthaft Antworten auf diese Lebensfragen finden, dann wäre jetzt höchste Zeit dafür.

Die Antwort „Das Ganze endlich hinter uns zu lassen!“ wäre mir zu wenig…

(1) So gehört am 23. März – Interview im Deutschlandfunk; Informationen am Morgen

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Corona-Zeiten Veränderung

Murmeltier-Jahr

Es ist der 23. März, der Wecker klingelt, ich stehe (nach zweimal snoozen) auf, koche den Ingwer-Tee und schalte die Nachrichten an: Das Virus beherrscht die Schlagzeilen, der Lockdown wird verlängert, Ostern wird ohne großfamiliäre Eiersuche stattfinden und einkaufen geht am besten im örtlichen Supermarkt.

Ich blinzle kurz, schaue nochmal auf die Jahreszahl am Kalender: Wir schreiben das Jahr 2021, aber mich beschleicht das untrügliche Gefühl, als hätte ich alles schonmal erlebt. Vor circa einem Jahr und dann immer wieder.

Mir kommt das täglich grüßende Murmeltier aus Punxsutawney in den Sinn und die Zeitschleife, in der Phil Connors, ein übellauniger Wetter-Berichterstatter dort gefangen war.

Nach dem ersten Schock über den sich wiederholenden 2. Februar, verfolgt Phil unterschiedliche Strategien im Umgang mit diesem Tag, den er bald in- und auswendig kennt. Schließlich überwiegt aber die Verzweiflung und er versucht seinem Leben ein Ende zu setzen. Es gelingt ihm nicht: An jedem vermeintlich neuen Morgen erklingt zuverlässig und unbarmherzig der Song „I got you, Babe“ aus dem Radiowecker und er muss sich der immergleichen Realität erneut stellen.

Irgendwann stellt Phil fest, dass er zwar die äußeren Umstände nicht ändern kann: Er sitzt fest in einem Nest in der amerikanischen Provinz und hat über den Murmeltiertag zu berichten. Seine Haltung dazu kann er jedoch sehr wohl verändern. Wie er diesen einen Tag verbringt – darauf hat er Einfluss. Unter stark eingeschränkten Möglichkeiten beginnt er also zu lernen: Klavierspielen, Zuhören, Eis-Skulpturen-Schnitzen, Freundlich sein und nicht zuletzt Lieben. Allmählich geschieht eine erstaunliche Wandlung.

Am Schluss ist es die erwiderte Liebe, die die Zeitschleife löst. Phil geht als geläuterter Mann aus diesem scheinbar endlosen 2. Februar hervor und beschließt, mit seiner Rita in Punxsutawney zu bleiben.

Im Grunde eine echte Mutmach-Geschichte für das Leben in Lockdown-Endlos-Schleifen. Es gibt sie auch jetzt, die Gestaltungsspielräume und Gelegenheiten zur Wandlung – es muss ja nicht unbedingt Klavierspielen sein.

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Corona-Zeiten Veränderung Von Gestern

#wisst ihr noch?

Vor einem Jahr startete ich diesen Blog mit einem Beitrag unter dem Titel #wirbleibenzuhause. Heute kann ich nur staunen über die damalige Bereitschaft in weiten Teilen der Bevölkerung, sich hinter diesem Hashtag zu versammeln. So vieles hat sich seither verändert…

Das WIR hat sich in der pluralen und vielschichtigen Gesellschaft aufgelöst. Die Interessen der ganz unterschiedlich Betroffenen klaffen weit auseinander. Und wenn es noch doch noch mal auftaucht, dieses WIR, dann nur im Gegensatz zu DEN ANDEREN.

BLEIBEN will auch keiner mehr so richtig. Weder im muffigen Homeoffice, noch über Ostern in der eigenen Nachbarschaft.

Und das ZUHAUSE, das war doch mal der Ort, zu dem man nach langen Arbeitstagen müde aber zufrieden heimkehren konnte, um den Abend zu feiern. Diesen Ort gibt es für viele von uns so nicht mehr. Zuhause – das ist jetzt der Immer-Ort, und der fühlt sich irgendwie zäh an und klebrig.

Heute lese ich in meinem allerersten Beitrag vom 24. März 2020 wie froh ich war um die „Erlaubnis, zuhause zu bleiben“. Damals war ich „von ein paar Wochen“ in diesem Zustand ausgegangen.

Wie man sich doch täuschen kann…

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Corona-Zeiten Slow Month Veränderung

Slow Motion

Ein Entschleunigungs-Feature für meinen „Slow November“ setzt ganz praktisch und naheliegend im Bereich der Fortbewegung an. Strecken, die ich üblicherweise mit dem Rad zurücklege, gehe ich zu Fuß. Wo ich sonst das Auto nehme steige ich auf’s Fahrrad oder in die Bahn.

Seit fünf Tagen praktiziere ich nun diese Form der „Slow Motion“ und kann bereits erste Erkenntnisse zur benötigten Kraftanstrengung festhalten: Natürlich brauche ich mehr körperliche Kraft, um nach Leopoldshafen zu laufen, oder nach Neureut zu radeln, aber das kann ich ja direkt auf mein Fitness-Konto buchen, wo es sich positiv auswirkt. Kein Problem also an dieser Stelle.

Schwierig wird es bei der benötigten Zeit. Davon muss ich von vornherein mehr einplanen, und zwar mindestens doppelt so viel wie mit der herkömmlichen Fortbewegungsform. Und genau hier beginnt der Kraftakt: Noch bevor ich meine lauftauglichen Schuhe anziehe, überlege ich, was ich in dieser Zeit noch alles würde erledigen können. Und wenn ich auf’s Rad steige, wird mir klar, dass ich mit dem Auto effizienter einkaufen und früher kochen könnte.

Wirklich erstaunlich, dass solche Gedanken sich vordrängen, obwohl ich in dieser Woche im Vergleich zum Oktober nur ein Viertel an Terminen habe! Ganz offensichtlich ist mehr als genug Zeit da, und wenn ich dann mal unterwegs bin, freue ich mich an der Bewegung.

Es ist also dieser fiese Druck, meine Zeit möglichst produktiv und effizient zu verbringen, der sich der Entschleunigung in den Weg stellt! Ihn frontal anzugreifen und auseinanderzunehmen, ist mir im Moment noch nicht möglich. So versuche ich es erstmal mit Ignorieren und Ausweichen und fahre, bzw. laufe bisher recht gut damit. 😉

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Corona-Zeiten Slow down Veränderung

Kraftanstrengungen

Jens Spahn, der genesene Gesundheitsminister, hat am 1. November im heute-journal bei Marietta Slomka eine interessante Ansage gemacht. Er sagte, jetzt sei „zuerst einmal eine nationale Kraftanstrengung im November“ nötig, die Devise heiße „Entschleunigung für alle“.(*)

Auf den ersten Blick erschien mir das etwas dramatisch, aber vor allem paradox: Es soll langsamer zugehen für alle, und dafür braucht es eine enorme Kraftanstrengung? 🤔

Aber tatsächlich kann Entschleunigung durchaus anstrengend sein. Dazu muss man nur mal die Übungen im Fitness-Studio oder auf der eigenen Matte in Zeitlupe ausführen. Da kommen nochmal andere Kräfte ins Spiel.

Nun wird seit Montag das öffentliche und private Leben durch die neuen Corona-Verordnungen gedrosselt, und die Worte von Herrn Spahn über die nationale Kraftanstrengung scheinen schon nach drei Tagen zutreffender, als ich zunächst dachte.

Ich habe viel weniger Termine und Verpflichtungen, aber eine spürbare Erleichterung will sich nicht einstellen. Es fühlt sich eher schwerer und mühsamer an, durch den Tag zu gehen. Und wenn ich meine Mitmenschen auf der Straße oder auf den Bildschirmen betrachte, dann verstärkt sich dieser Eindruck noch.

Wo und warum wird das Leben durch die Verlangsamung eigentlich anstrengender? Welche Kraftakte sind angesichts der kollektiven Entschleunigung gefordert?

Diesen Fragen will ich mich in den kommenden Tagen und Wochen im Rahmen einer Kleinst-Studie widmen. #Slow Month.

(*) und wendet sich damit an eine Nation, der es auf Autobahnen nicht schnell genug gehen kann 😃

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Lockerungen

Komisch: Überall wird jetzt gelockert – nur ich fühle mich immer verspannter…🤔

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Corona-Zeiten Veränderung

Back to Normal?

Dieser Tage wird immer wieder davon gesprochen, dass es eine Rückkehr zur Normalität geben wird, ja geben muss; sicher wird dies ein längerer Prozess sein, aber am Ende soll eine „neue Normalität“ auf uns alle warten und uns belohnen für wochenlangen Verzicht.

Wenn es die „Normalität“ sein soll, die wir am 16. März hinter uns gelassen haben, dann erwarten uns unter anderem verstopfte Autobahnen und Gedrängel an der Warteschlange. Kreuzfahrtschiffe werden wieder die schönsten Städte Europas mit Tausenden von Passagieren fluten, und Touristen können ihre spektakulären Urlaubsbilder auf Instagram posten. Unsere Hähnchen-Teile landen wieder auf dem Markt von Kampala, Uganda, während der Plastikwertstoff zum „Recycling“ nach Südostasien verschifft wird. Statt über Corona-Tote wird über Anschlagsopfer in Kabul berichtet und Polizisten verbringen ihre Samstage wieder vor Fußballstadien.

Unsere Terminkalender sind wieder gefüllt und an den Schulen können endlich bewertbare Leistungsnachweise erbracht werden. In den Supermärkten bleiben dann wieder genügend Lebensmittel übrig, um die Tafeln ordentlich auszustatten. Die Mülltüten in den Kinosälen sind wieder voll mit Popcorn-Eimern und Eisverpackungen und irgendwann wird auch gefeiert werden, mit richtig vielen Menschen, richtig lauter Musik, Bierdosen und Sekt.

Ich gebe zu, bei diesen Aussichten hält sich meine Vorfreude in engen Grenzen. Aber wer sagt, dass wir in genau diese Normalität zurück sollen. Es gab schon diverse andere Formen der Normalität vor der aktuellen, an die wir uns gewöhnt haben.

Anfang der Siebziger galt es zum Beispiel als normal, ein Auto pro Familie zu besitzen, einmal im Jahr in den Urlaub zu fahren, und die Möbel, die man zur Hochzeit erworben hatte, zu nutzen, bis sie auseinanderfielen. Der Raumbedarf belief sich auf 26,4qm pro Person (vor zwei Jahren waren es 46,7qm) und in der Regel genügte ein Einkommen, um eine Familie ganz gut zu ernähren.

Ich weiß, man wird leicht sentimental, wenn es um eigene Kindheit- und Jugendzeiten geht, aber ich plädiere dringend für eine umfassendere Vorstellung von Normalität. Außerdem: Nur weil etwas als normal gilt, heißt das noch lange nicht, dass es per se gut und deshalb schützenswert ist. Und auch wenn ganz viele Menschen das Gleiche tun, so kann das doch ziemlich daneben sein.

Der vielzitierte Begriff der „neuen Normalität“ könnte darauf hinweisen, dass nicht alles genauso werden wird, wie es vorher war. Hoffentlich bedeutet er nicht, dass wir uns beim gewohnten Treiben nur mit etwas mehr Abstand bewegen und eine Maske aufsetzen.

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All you need OHNE... Veränderung

Oben Ohne

Mittlerweile liegen 49 Tage wechselnde Corona-Zustände hinter uns, und für mich wird es höchste Zeit, eine neue Kategorie einzuführen. „Ohne…“ soll sie heißen, denn was wir derzeit ausprobieren können, ist ein Leben ohne gewisse Selbstverständlichkeiten; die einen sind uns lieb, deshalb vermissen wir sie, die anderen haben uns irgendwie schon immer geärgert. Beginnen möchte ich mit dem Blick nach oben:

Es ist der 3. Mai, und die Sonne scheint am strahlend-blauen Himmel. Dort ist immer noch kein Kondensstreifen weit und breit sichtbar, und bei Nacht stehe ich unter einem Sternenhimmel (fast) ohne künstliche Flugobjekte. Vor hundert Jahren war das die Normalität. Wer weiß – vielleicht wird es irgendwann wieder eine Zukunft geben ohne Flugzeuge, die über den Himmel schweben. Eine Welt „oben ohne“ sozusagen. Und wenn es soweit käme, wie würden künftige Generationen wohl zurückblicken auf die Zeiten der Luftfahrt?

Ein interessantes Gedankenspiel, das im „Book of Life“ sehr anschaulich beschrieben ist. Ein Märchen aus der Zukunft sozusagen:

Eine Welt ohne Flugreisen

Seit Jahren hören wir, dass es wichtig sei, weniger zu fliegen; heute stellen wir uns mal eine Welt vor, in der die Menschen gar nicht mehr fliegen würden.

In dieser Zukunft werden Kinder zu Füßen der Alten sitzen und unerhörten Geschichten lauschen über eine mythische Zeit, als riesige komplizierte Maschinen so groß wie mehrere Häuser sich in die Lüfte erhoben und hoch über dem Himalaya und der Tasmanischen See dahinflogen.

Die weisen Ältesten würden erklären, dass im Inneren des Flugzeugs Passagiere waren, die für dieses Privileg nur den Preis von ein paar Büchern gezahlt hatten; ungeduldig und undankbar verdeckten sie mit Jalousien den Ausblick aus dem Fenster; schweigend saßen sie neben Fremden und beschwerten sich über das Essen in Miniatur-Plastik-Geschirr, das nicht so schmackhaft war, wie das in der eigenen Küche Zubereitete.

Die Ältesten würden hinzufügen, dass die Himmel, die jetzt nur von durchziehenden Schwärmen von Bienen und Spatzen gestört wurden, früher vom donnernden Geräusch der Luft-Giganten gebebt hatte, und dass die Städte dieser Welt zu weiten Teilen durch deren Start- und Landebetrieb erschüttert worden waren.

Vielleicht erwähnen sie, dass empfindsame Menschen in Fulham, einem Vorort des alten London, aufgrund des unablässigen Anflugs von Aluminiumröhren aus Canada und der US-amerikanischen Ostküste, selten länger als bis halb sechs Uhr am Morgen hatten schlafen können.

Am JFK, inzwischen zum Museum geworden, könnte man ganz gemütlich über die beiden Hauptstartbahnen gehen und sogar der Versuchung nachgeben, sich im Schneidersitz direkt auf die Mittellinien zu setzen – eine Geste mit ähnlich erhabenen Schauer, wie das Berühren eines abgeschalteten Hochspannungskabels. […]

Natürlich würde alles sehr langsam gehen. Um nach Rom zu kommen, würde man zwei Tage brauchen, und einen Monat, um endlich jubelnd im Hafen von Sidney einzusegeln. Und doch wären gerade mit dieser trägen Langsamkeit auch Vorteile verbunden.

Diejenigen, die das Zeitalter der Flugzeuge erlebt hatten, würden sich an die Verwirrung erinnern, die sie – nur Stunden nach dem Aufbruch von Zuhause – bei der Ankunft in Mumbai oder Rio, Auckland oder Montego Bay empfunden hatten; die leichte Übelkeit und Verwirrtheit, durch die sich das alte arabische Sprichwort bewahrheitet, nachdem die Seele immer nur so schnell reist wie ein Kamel.

Was immer die Vorteile der massentauglichen und bequemen Luftfahrt auch sein mögen, wir könnten sie auch verfluchen – weil sie schlicht zu einfach ist, zu unspektakulär – und dass sie dadurch unsere aufrichtigen Versuche zunichte macht, uns selbst durch unsere Reise zu verändern.

Die bequeme, massentaugliche Luftfahrt hat zweifellos ihre Vorteile. Dennoch hätten wir allen Grund, sie zu verfluchen: Denn sie macht das Reisen zu einfach, zu unspektakulär, und damit untergräbt sie unsere aufrichtigen Bestrebungen, uns selbst zu verändern auf unseren Reisen. […]

Trotz all dem Chaos und den Unannehmlichkeiten durch unsere vereitelten Flugpläne: Wir sollten dem Virus dankbar sein. Es erlaubt uns, für einen kleinen Moment darüber nachzudenken, worum uns eine flug-freie künftige Welt sowohl beneiden als auch bedauern würde.

Englisches Original unter: https://www.theschooloflife.com/thebookoflife/a-world-without-air-travel/

Ich, als Einmal-im-Leben-Fliegerin, habe großen Spaß an so einer Vorstellung. Wahrscheinlich werde ich noch nicht bei den Alten sein, die den Kindern solche Geschichten erzählen. Aber auch Pferdewagen galten einst als großartige Innovation für die Mobilität, und die finden unsere Kinder ja auch fast nur noch in Museen.

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Corona-Zeiten Veränderung

Abenteuer Einkauf

Heute war ich im örtlichen Supermarkt, um für unsere vierköpfige Familie den Wocheneinkauf zu erledigen. „Früher“ war das eine notwendige Routinetätigkeit, die ich relativ emotionslos erledigt habe. Seit „Corona“ ist die gleiche Tätigkeit mit einem echten Nervenkitzel verbunden. Ich spüre das schon am Abend vorher, wenn ich meine Einkaufsliste erstelle: Wird denn dieses Mal Mehl da sein? Kriege ich noch Bananen? Und vor allem: Was hat sich vor und im Markt verändert? Denn eines ist sicher – es wird anders laufen als beim letzten Besuch, und es wird unzählige neue Möglichkeiten geben, sich falsch zu verhalten. Und das will ich ja auf keinen Fall!

So bin ich also mit leicht erhöhtem Puls losgefahren, ungefähr zur Mittagszeit, in der die meisten Leute beim Essen sitzen und nicht einkaufen gehen sollten. Die erste Neuerung gleich beim Einkaufswagenparkplatz: Heute wurde der Griff nämlich dort desinfiziert, noch bevor ich meine Münze eingesteckt hatte. Neue Hinweisschilder am Eingang empfahlen dringend, doch beim Einkauf eine Maske zu tragen. Die hatte ich aus bereits genannten Gründen nicht dabei, was mich aber nicht vor dem Gefühl bewahrte, mich völlig daneben zu benehmen.

Neu waren auch die zwei Boxen mit Einmal-Handschuhen, die am Drehkreuz bereit standen. „Nur ein Paar pro Einkauf“ stand dabei. Ich nahm gar keines, weil ich vor kurzem irgendwo gelesen habe, dass von solchen Handschuhen auch Gefahr ausgehen kann. Trotzdem hat sich auch das nicht richtig angefühlt, eher „ungenügend“ oder „mangelhaft“.

Nun hatte ich zum einen mit diesem Versager-Komplex zu kämpfen, zum anderen galt es, die anderen KundInnen im angemessenen Abstand zu umfahren, gleichzeitig den Wagen zu bestücken und meine Liste abzuarbeiten.

Für allzu viel Beobachtung blieben also weder Zeit noch Muße, aber ich hatte den Eindruck, dass die Menschen im Markt das Gefahrenpotential des Einkaufens ähnlich sahen wie ich: Hier zwischen diesen Regalen könnte ja ein nicht-getesteter Infizierter stehen! Und genau genommen könnte das auch ich selbst sein! So manövrierten wir alle in weitem Bogen umeinander, der Blick konzentriert auf den Gang gerichtet, der Mund fest geschlossen oder eben unsichtbar.

Nach diesem Slalom war der Weg durch den Kassenbereich fast schon ein Kinderspiel. Die Markierung am Boden, die Plexiglasscheiben vor der Kassiererin – alles bereits vertraut und eingeübt. Jetzt nur noch vor der Bäckertheke an der richtige Stelle bestellen, das Bargeld so platzieren, dass keine Berührung mit der Verkäuferin stattfindet, dann durch die Automatik-Tür und – endlich wieder tief einatmen.

Ich spürte direkt, wie die Anspannung im Magen nachließ und der Puls sich normalisierte. Bei jedem Schritt über den Parkplatz wurde meine Haltung aufrechter und der Blick weiter. Fast schon beschwingt habe ich alles im Kofferraum verstaut; ein Gefühl von Stolz erfüllte mich im Anblick all der Produkte, die ich dem Supermarkt abgerungen hatte.

Zuhause angekommen kam ich mir vor wie die Heldin aus einer Fantasy-Serie, die gerade ein gefährliches Abenteuer bestanden hat. Ganz ehrlich: Wer braucht noch Abenteuer-Parks, wenn das Einkaufen uns einen derartigen Thrill bietet?

Auch in der kommenden Woche gibt es wieder Spannung pur: Dann werden nur noch Maskierte durch die Gänge ziehen!

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Zum Abgewöhnen

Wie an anderer Stelle schon erwähnt, braucht es eine gewisse Zeit, bis ein verändertes Verhalten zur Gewohnheit wird. Man spricht hier meist von mindestens einundzwanzig Tagen; je nach Hartnäckigkeit können aber auch gut und gerne zwei bis drei Monate vergehen, bis ein Verhalten dauerhaft verändert ist.

Fünf Wochen oder fünfunddreißig Tage im alternativen Shut-Down-Modus liegen mittlerweile hinter uns und ich merke, wie sich die ein oder andere Gewohnheit – quasi ohne mein Zutun – schon etwas ausgeschlichen hat. In der Hinsicht ist die Corona-Zeit so etwas wie eine Art Fastenzeit, nur dass dabei nicht ich entscheide, worauf ich verzichten will, sondern dass hier für mich entschieden wurde. Am Ende der Fastenzeit, die ich dieses Jahr ohne Fleisch, ohne Alkohol und ohne Nutella verbracht habe, konnte ich feststellen, dass mir das Fleisch gar nicht gefehlt hat. Meine Nutella-Lust war nach wenigen Tagen verschwunden, und das Glas Rotwein am Abend ließ sich ganz gut durch Tee oder Traubensaft ersetzen.

Nun bietet mir das durch die Corona-Krise bedingte Fasten neue und unerwartete Verzichtsaspekte, und auch wenn wir noch mitten drin sind, möchte ich die Gelegeheit nutzen und überlegen, was ich eigentlich gar nicht mehr unbedingt ins Leben danach re-integrieren will.

Was ich mir abgewöhnen könnte:
  • Nutella mit dem Löffel essen
  • mir Sorgen um Ereignisse im Herbst machen
  • Avocados kaufen
  • meine Tage möglichst effizient planen
  • mich über Unerledigtes ärgern
  • mich von Schnäppchen zum Kauf verleiten lassen
  • systemrelevant sein zu wollen
  • mich überhaupt soviel zu ärgern
  • Haare tönen

Mal sehen, was in den nächsten zwei Wochen noch dazu kommt. Die Liste werde ich dann einfach um weitere Punkte ergänzen.

  • Einkaufen (hinzugefügt am 26. April)
  • S-Bahn fahren

Bis zum 3. Mai werden wir dann übrigens insgesamt sieben Wochen im Lock-Down-Modus verbracht haben. Und damit wären wir bei dem Motto vieler kirchlicher Fastenaktionen, nämlich: Sieben Wochen Ohne! Beste Voraussetzungen, um zu sehen, was wirklich gefehlt hat und was für die Zukunft wirklich wichtig ist.