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Corona-Zeiten

Nüchterne Zahlen

Nach der emotionalen Achterbahn ausgelöst durch die gestrige Einkaufserfahrung sitze ich heute eher ernüchtert am Schreibtisch. Was hat mich da eigentlich getrieben?

Um die Dinge etwas in Relation zu setzen, zücke ich wieder meinen Taschenrechner für ein von allen Seiten anfechtbares Rechenexempel, und frage: Wie wahrscheinlich ist es, dass mir hier im Ort ein nicht-getesteter Infizierter begegnet?

Als Quelle nutze ich dieses Mal die Seite www.corona.karlsruhe.de, die mir aktuelle Zahlen zum gestrigen Dienstag für die Stadt und den Landkreis liefert. Da Eggenstein direkt an den Stadtkreis angrenzt, scheint mir das eine sinnvolle Entscheidung. And here we go:

Am 21. April sind in Karlsruhe Stadt und Landkreis 1248 Menschen positiv auf das Virus getestet. Davon gelten 601Personen als wieder genesen. Diese Zahl subtrahiere ich kühn von der Gesamtzahl – denn mir geht es ja um die derzeit Erkrankten und damit Ansteckenden – und komme somit auf 647 Menschen. Nun sind genau diese gerade nicht in der Öffentlichkeit unterwegs, sondern befinden sich in Quarantäne, haben aber natürlich bereits andere Leute angesteckt.

Für alle weiteren Berechnungen begebe ich mich in ganz trübe Gefilde, indem ich die „Dunkelziffer“ der Infizierten abschätze. Wie der Name schon sagt und meine Recherchen bestätigen, ist diese Ziffer sehr unscharf, weil man einfach noch zuwenig weiß über Verbreitung des Virus. Deshalb entscheide ich mich für den vergleichsweise sehr hohen Faktor 10 mit dem ich die Zahl der Positiv-Getesteten multipliziere.

Demnach wären 6.470 arglose Mitbürger Träger des Virus und stellen meine Dunkelziffer dar. Im untersuchten Gebiet leben offiziellen Angaben zufolge 748.316 Einwohner. Ins Verhältnis gesetzt wären demzufolge 0,86% der hiesigen Bevölkerung oder aufgerundet 9 von 1000 unerkannt infiziert und in der Öffentlichkeit unterwegs.

Nun muss ich nur noch diese Quote auf meinen Wohnort übertragen, in dem 16.455 Menschen leben (Stand Dezember 2019) und komme zum Ergebnis, dass 148 davon unter die Kategorie naVT (nichtsahnende Virus-Träger) fallen.

Und damit bin ich schon (oder endlich) bei meiner Ausgangsfrage und Gefahrenpotentialsanalyse angelangt: Wie wahrscheinlich ist es, dass einer dieser 148 gleichzeitig mit mir an der Gemüsetheke steht?

Angesichts der eh schon spekulativen Natur meiner Berechnungen und den Unwägbarkeiten der Wahrscheinlichkeitsrechnung, muss ich es wohl dabei belassen. Ist sowieso die Frage, ob mir dieses Wissen beim nächsten Einkauf wirklich weiterhilft…😷

P.S. Die reinen Zahlen für unsere Kommune auf corona.karlsruhe.de liegen im Übrigen weit unter meinem Ergebnis. In Eggenstein-Leopoldshafen gab insgesamt es bisher 12 Infizierte, davon gelten am 21. April 11 Personen wieder als genesen. Meiner Dunkelzifferberechnung zufolge würden hier also nur 10 Menschen (1 Erkrankter x 10) zu den naVT zählen. Na dann…

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Corona-Zeiten Veränderung

Abenteuer Einkauf

Heute war ich im örtlichen Supermarkt, um für unsere vierköpfige Familie den Wocheneinkauf zu erledigen. „Früher“ war das eine notwendige Routinetätigkeit, die ich relativ emotionslos erledigt habe. Seit „Corona“ ist die gleiche Tätigkeit mit einem echten Nervenkitzel verbunden. Ich spüre das schon am Abend vorher, wenn ich meine Einkaufsliste erstelle: Wird denn dieses Mal Mehl da sein? Kriege ich noch Bananen? Und vor allem: Was hat sich vor und im Markt verändert? Denn eines ist sicher – es wird anders laufen als beim letzten Besuch, und es wird unzählige neue Möglichkeiten geben, sich falsch zu verhalten. Und das will ich ja auf keinen Fall!

So bin ich also mit leicht erhöhtem Puls losgefahren, ungefähr zur Mittagszeit, in der die meisten Leute beim Essen sitzen und nicht einkaufen gehen sollten. Die erste Neuerung gleich beim Einkaufswagenparkplatz: Heute wurde der Griff nämlich dort desinfiziert, noch bevor ich meine Münze eingesteckt hatte. Neue Hinweisschilder am Eingang empfahlen dringend, doch beim Einkauf eine Maske zu tragen. Die hatte ich aus bereits genannten Gründen nicht dabei, was mich aber nicht vor dem Gefühl bewahrte, mich völlig daneben zu benehmen.

Neu waren auch die zwei Boxen mit Einmal-Handschuhen, die am Drehkreuz bereit standen. „Nur ein Paar pro Einkauf“ stand dabei. Ich nahm gar keines, weil ich vor kurzem irgendwo gelesen habe, dass von solchen Handschuhen auch Gefahr ausgehen kann. Trotzdem hat sich auch das nicht richtig angefühlt, eher „ungenügend“ oder „mangelhaft“.

Nun hatte ich zum einen mit diesem Versager-Komplex zu kämpfen, zum anderen galt es, die anderen KundInnen im angemessenen Abstand zu umfahren, gleichzeitig den Wagen zu bestücken und meine Liste abzuarbeiten.

Für allzu viel Beobachtung blieben also weder Zeit noch Muße, aber ich hatte den Eindruck, dass die Menschen im Markt das Gefahrenpotential des Einkaufens ähnlich sahen wie ich: Hier zwischen diesen Regalen könnte ja ein nicht-getesteter Infizierter stehen! Und genau genommen könnte das auch ich selbst sein! So manövrierten wir alle in weitem Bogen umeinander, der Blick konzentriert auf den Gang gerichtet, der Mund fest geschlossen oder eben unsichtbar.

Nach diesem Slalom war der Weg durch den Kassenbereich fast schon ein Kinderspiel. Die Markierung am Boden, die Plexiglasscheiben vor der Kassiererin – alles bereits vertraut und eingeübt. Jetzt nur noch vor der Bäckertheke an der richtige Stelle bestellen, das Bargeld so platzieren, dass keine Berührung mit der Verkäuferin stattfindet, dann durch die Automatik-Tür und – endlich wieder tief einatmen.

Ich spürte direkt, wie die Anspannung im Magen nachließ und der Puls sich normalisierte. Bei jedem Schritt über den Parkplatz wurde meine Haltung aufrechter und der Blick weiter. Fast schon beschwingt habe ich alles im Kofferraum verstaut; ein Gefühl von Stolz erfüllte mich im Anblick all der Produkte, die ich dem Supermarkt abgerungen hatte.

Zuhause angekommen kam ich mir vor wie die Heldin aus einer Fantasy-Serie, die gerade ein gefährliches Abenteuer bestanden hat. Ganz ehrlich: Wer braucht noch Abenteuer-Parks, wenn das Einkaufen uns einen derartigen Thrill bietet?

Auch in der kommenden Woche gibt es wieder Spannung pur: Dann werden nur noch Maskierte durch die Gänge ziehen!