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Corona-Zeiten Veränderung

Back to Normal?

Dieser Tage wird immer wieder davon gesprochen, dass es eine Rückkehr zur Normalität geben wird, ja geben muss; sicher wird dies ein längerer Prozess sein, aber am Ende soll eine „neue Normalität“ auf uns alle warten und uns belohnen für wochenlangen Verzicht.

Wenn es die „Normalität“ sein soll, die wir am 16. März hinter uns gelassen haben, dann erwarten uns unter anderem verstopfte Autobahnen und Gedrängel an der Warteschlange. Kreuzfahrtschiffe werden wieder die schönsten Städte Europas mit Tausenden von Passagieren fluten, und Touristen können ihre spektakulären Urlaubsbilder auf Instagram posten. Unsere Hähnchen-Teile landen wieder auf dem Markt von Kampala, Uganda, während der Plastikwertstoff zum „Recycling“ nach Südostasien verschifft wird. Statt über Corona-Tote wird über Anschlagsopfer in Kabul berichtet und Polizisten verbringen ihre Samstage wieder vor Fußballstadien.

Unsere Terminkalender sind wieder gefüllt und an den Schulen können endlich bewertbare Leistungsnachweise erbracht werden. In den Supermärkten bleiben dann wieder genügend Lebensmittel übrig, um die Tafeln ordentlich auszustatten. Die Mülltüten in den Kinosälen sind wieder voll mit Popcorn-Eimern und Eisverpackungen und irgendwann wird auch gefeiert werden, mit richtig vielen Menschen, richtig lauter Musik, Bierdosen und Sekt.

Ich gebe zu, bei diesen Aussichten hält sich meine Vorfreude in engen Grenzen. Aber wer sagt, dass wir in genau diese Normalität zurück sollen. Es gab schon diverse andere Formen der Normalität vor der aktuellen, an die wir uns gewöhnt haben.

Anfang der Siebziger galt es zum Beispiel als normal, ein Auto pro Familie zu besitzen, einmal im Jahr in den Urlaub zu fahren, und die Möbel, die man zur Hochzeit erworben hatte, zu nutzen, bis sie auseinanderfielen. Der Raumbedarf belief sich auf 26,4qm pro Person (vor zwei Jahren waren es 46,7qm) und in der Regel genügte ein Einkommen, um eine Familie ganz gut zu ernähren.

Ich weiß, man wird leicht sentimental, wenn es um eigene Kindheit- und Jugendzeiten geht, aber ich plädiere dringend für eine umfassendere Vorstellung von Normalität. Außerdem: Nur weil etwas als normal gilt, heißt das noch lange nicht, dass es per se gut und deshalb schützenswert ist. Und auch wenn ganz viele Menschen das Gleiche tun, so kann das doch ziemlich daneben sein.

Der vielzitierte Begriff der „neuen Normalität“ könnte darauf hinweisen, dass nicht alles genauso werden wird, wie es vorher war. Hoffentlich bedeutet er nicht, dass wir uns beim gewohnten Treiben nur mit etwas mehr Abstand bewegen und eine Maske aufsetzen.

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Zum Abgewöhnen

Wie an anderer Stelle schon erwähnt, braucht es eine gewisse Zeit, bis ein verändertes Verhalten zur Gewohnheit wird. Man spricht hier meist von mindestens einundzwanzig Tagen; je nach Hartnäckigkeit können aber auch gut und gerne zwei bis drei Monate vergehen, bis ein Verhalten dauerhaft verändert ist.

Fünf Wochen oder fünfunddreißig Tage im alternativen Shut-Down-Modus liegen mittlerweile hinter uns und ich merke, wie sich die ein oder andere Gewohnheit – quasi ohne mein Zutun – schon etwas ausgeschlichen hat. In der Hinsicht ist die Corona-Zeit so etwas wie eine Art Fastenzeit, nur dass dabei nicht ich entscheide, worauf ich verzichten will, sondern dass hier für mich entschieden wurde. Am Ende der Fastenzeit, die ich dieses Jahr ohne Fleisch, ohne Alkohol und ohne Nutella verbracht habe, konnte ich feststellen, dass mir das Fleisch gar nicht gefehlt hat. Meine Nutella-Lust war nach wenigen Tagen verschwunden, und das Glas Rotwein am Abend ließ sich ganz gut durch Tee oder Traubensaft ersetzen.

Nun bietet mir das durch die Corona-Krise bedingte Fasten neue und unerwartete Verzichtsaspekte, und auch wenn wir noch mitten drin sind, möchte ich die Gelegeheit nutzen und überlegen, was ich eigentlich gar nicht mehr unbedingt ins Leben danach re-integrieren will.

Was ich mir abgewöhnen könnte:
  • Nutella mit dem Löffel essen
  • mir Sorgen um Ereignisse im Herbst machen
  • Avocados kaufen
  • meine Tage möglichst effizient planen
  • mich über Unerledigtes ärgern
  • mich von Schnäppchen zum Kauf verleiten lassen
  • systemrelevant sein zu wollen
  • mich überhaupt soviel zu ärgern
  • Haare tönen

Mal sehen, was in den nächsten zwei Wochen noch dazu kommt. Die Liste werde ich dann einfach um weitere Punkte ergänzen.

  • Einkaufen (hinzugefügt am 26. April)
  • S-Bahn fahren

Bis zum 3. Mai werden wir dann übrigens insgesamt sieben Wochen im Lock-Down-Modus verbracht haben. Und damit wären wir bei dem Motto vieler kirchlicher Fastenaktionen, nämlich: Sieben Wochen Ohne! Beste Voraussetzungen, um zu sehen, was wirklich gefehlt hat und was für die Zukunft wirklich wichtig ist.