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Corona-Zeiten Slow down Slow Month

Slow Month Bilanz

Mein Plan war, den November zu meinem langsamen Monat zu machen und zu sehen, wohin mich die Entschleunigung führt. Dieses Vorhaben wurde kräftig unterstützt durch all die zusätzlichen Maßnahmen und Einschränkungen, die bis heute gelten. Dazu kamen noch die stillsten Weihnachtstage meines Lebens und das gechillteste Sylvester aller Zeiten.

Dass ich trotzdem so wenig geschrieben habe, sagt schon einiges über meine Erfahrungen mit der Entschleunigung. Es ist eigentlich auch nicht besonders überraschend – aber indem ich das, was ich tue, verlangsame, brauche ich natürlich mehr Zeit für die alltäglichen (Besorgungen, Kochen, Wäsche…) und besonderen Dinge (Kontakte, Hörbücher, Gespräche…). Und ein ganz normaler Tag füllt sich zuverlässig auch ohne weitere Termine, Verpflichtungen und Sonder-Aktionen.

Es fühlt sich im Großen und Ganzen recht gut an, weniger getrieben und weniger hektisch durch die Tage und Wochen zu gehen. Es könnte sogar zu einem Lebensstil werden, zu meiner eigenen Normalität – wenn da nur nicht das hohe Tempo um mich herum und in mir drin wäre:

Trotz oder wegen Lockdown rasen die Autos noch schneller an mir vorbei; was natürlich auch an meiner eigenen Gehweg-Perspektive liegen könnte.

Die Möglichkeiten, die das Internet als Ersatz für alles Präsentische bietet, schießen wie Pilze aus dem Boden. Das Leben wird auf den Bildschirm verlagert; Video-Konferenzen sorgen dafür, dass „die Läden laufen“. Wenn keiner mehr Wege zurücklegen muss, passen noch mehr Meetings in einen Arbeitstag als vorher. Mit ca. vier Klicks lassen sich Ort und Teilnehmer geschmeidig wechseln. Hier geht es mir ein bisschen wie draußen auf dem Bürgersteig: Ich bin im Vergleich langsam, etwas widerständig, latent gestresst und irgendwie „außen vor“.

Als vorläufiges Ergebnis meiner entschleunigten Monate kann ich festhalten: Es entsteht ein Gefühl von Fremdheit, von Anders-Sein, wenn ich das vorgegebene Tempo nicht mitgehe. Es gilt permanent, den inneren Antreiber in die Schranken zu weisen, denn der hat genügend Ideen, was noch alles in diesen Tag hätte platziert werden können. Und schließlich muss einem inneren Bewerter und Abhaker getrotzt werden, der vorgaukelt, dass ich besser bin, je mehr ich erledigt habe.

Ohne Anspruch auf Belastbarkeit meiner Kleinst-Studie kann ich also tatsächlich einen überraschenden Zusammenhang zwischen Entschleunigung und Kraftanstrengung verifizieren.

Das Bild vom Strömungskanal vom letzten Juni kommt mir in den Sinn. Entschleunigung bedeutet eben nicht, mich im Strom treiben zu lassen und das jeweilige Tempo mitzunehmen. Es fühlt sich eher an wie Gegen-den-Strom-Schwimmen – kein Wunder also, dass es ziemlich viel Kraft braucht…

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Corona-Zeiten

Der Hamster, Teil 2

Der Hamster steuert ein weiteres interessantes Sprachbild bei, das angesichts des Stillstandes des öffentlichen Lebens ab und an zitiert wird: Das sprichwörtliche „Hamsterrad“. Auch wer das nachtaktive Haustier nicht in seinem Schlafzimmer hat, kann etwas mit diesem Bild anfangen.

Der Hamster bekommt eine Art Tretmühle in seinen Käfig, damit er seinen großen Bewegungsdrang befriedigen kann. Er treibt das Rad durch das eigene Tempo an, und kommt ohne Probleme auf ca. 30.000 Umdrehungen in der Nacht. Das entspricht den 20 – 30 Kilometern, die er in der freien Wildbahn laufen würde. Die Bewegung ist lebenswichtig für das Tier, auch wenn so gut wie keine äußeren Reize auftreten. Ähnliches kennen wir von den High-Tech-Laufbändern in unseren Fitness-Studios.

Im übertragenen Sinn steht das Hamsterrad für einen Zustand permanenter Beschäftigung mit dem Immergleichen, das in regelmäßiger Abfolge über uns hereinbricht. Daran gewöhnt man sich, da erhöht man sogar das Tempo, nur um festzustellen, dass man trotz aller Anstrengung nicht an ein Ende oder Ziel kommt. Wie auch – ist ja ein Rad.

Und so laufen wir im Hamsterrad, und weil das fast alle tun, fühlt es sich ganz gut an, normal eben. Dass es den einen oder anderen mal raushaut, weil er doch ein zu hohes Tempo drauf hatte, oder einfach ungeschickt war – tja, das kommt eben vor.

Eine typische Frage von Hamsterrad zu Hamsterrad: „Na, wie läuft’s so bei dir?“

Aber nun steht für viele von uns dieses Hamsterrad so gut wie still. Das ruckelnde Abbremsen des Rades hat uns allen erstmal den Schwung genommen. Ein bisschen benommen schauen wir uns um und stellen fest – nichts geht mehr! Was tun? Warten, dreimal tief Luftholen und weiterrennen, sobald der Bremsklotz entfernt ist?

Dreimal tief Luftholen halte ich auf jeden Fall für sinnvoll. Vielleicht sogar fünfmal. Und dann wäre doch jetzt eine gute Gelegenheit, ein paar vernachlässigten Fragen nachzudenken: Wo bin ich überhaupt und wie bin ich bloß hierhergekommen? Was mache ich eigentlich hier?

Ach ja, der Hamster nutzt so ein Laufrad natürlich nur, solange er in einem Käfig gehalten wird…