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Corona-Zeiten

Bleiben Sie gesund!

Mit der Corona-Pandemie hat eine neue Grußformel Einzug gehalten, mit der seit Wochen quasi rituell E-Mails, Fernseh-Nachrichten und der kurze Plausch über den Gartenzaun beendet werden: Bleiben Sie gesund!

Grammatikalisch betrachtet ist diese Formel ein Imperativ, also eine Aufforderungs- und Befehlsform. Und tatsächlich: Wir tun alles, um dieser Aufforderung nachkommen.

Schnell und eindeutig haben Politik und Gesellschaft in der Corona-Krise Schwerpunkte gesetz: Die Gesundheit des Einzelnen und der Schutz des Gesundheitssystems wurden zur obersten Priorität erklärt. Noch nie wurden in der Bundesrepublik derartig einschneidende Verordnungen verhängt; selbst die mächtigsten Wirtschaftzweige blieben nicht verschont. Und wir, die Bürgerinnen und Bürger, haben uns bereitwillig gefügt und tun dies immer noch.

Es geht ja auch um unser aller Gesundheit! Es geht darum, Leben zu retten! Das ist der große gemeinsame Nenner, der diesen einzigartigen Lock-Down möglich gemacht hat. Jede und jeder kann hier seinen oder ihren Beitrag leisten!

Die einen bleiben Zuhause, beschulen Kinder und nähen Mundschutzmasken; die anderen erhalten die relevanten Säulen des Systems aufrecht. Ich staune über die ungeheure Dynamik, die das große Thema Gesundheit mit den Untertiteln „Wir retten Leben“ und „Wir kämpfen gemeinsam gegen das Virus“ freigesetzt hat!

Die neue Grußformel beschwört gleichsam die gemeinsame Sache: Bleiben Sie gesund! Bleibt gesund! Bleiben wir alle gesund! – Ja, das machen wir, das versuchen wir, „no matter what it takes“.

Großartig, wie wir darin vereint sind. Und gleichzeitig wundere ich mich doch ein wenig über diese vehementen Weichenstellungen in Richtung „Gesundheitsschutz“. Ansonsten sind wir da ja nicht ganz so konsequent.

Wenn es uns so ernst ist damit, warum verkaufen dann Supermärkte seit Jahren Produkte, die eindeutig gesundheitsschädlich sind, weil sie hauptsächlich aus Zucker bestehen? Warum ertragen wir Fluglärm, Autoabgase und Pestizide, als ob sie gottgegebene Bestandteile des Alltags wären?

Kümmert uns die Gesundheit der Kinder und Jugendlichen, die in kongolesischen Minen ohne jegliche Schutzkleidung Kobalt für unser neues Smart-Phone abbauen? Und was ist mit der Gesundheit der vietnamesischen Näherin, die in einem 12-Stunden Tag für unsere Boutiquen die Herbstmode 2020 schneidert? Und wie gesund kann es für die Müllsortierer in Malaysia sein, Berge von deutschem „Recycling“- Müll zu durchwühlen?

Bleiben Sie gesund! Das wünschen wir doch in Wahrheit nur uns selbst und unseren Nächsten hier und heute mit dem Corona-Virus vor Augen. Also gut, im Zweifelsfall auch noch all den anderen, die mich ansonsten anstecken könnten.

Heute kommt mir leider kein gefälliger Schluss-Satz in den Sinn. Ich denke, es wird Zeit, meine Corona-Zeiten-Kategorie für eine Weile ruhen zu lassen, sonst wird die noch moralinsauer. So langsam ist es an der Zeit, darüber hinaus zu denken.

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Nüchterne Zahlen

Nach der emotionalen Achterbahn ausgelöst durch die gestrige Einkaufserfahrung sitze ich heute eher ernüchtert am Schreibtisch. Was hat mich da eigentlich getrieben?

Um die Dinge etwas in Relation zu setzen, zücke ich wieder meinen Taschenrechner für ein von allen Seiten anfechtbares Rechenexempel, und frage: Wie wahrscheinlich ist es, dass mir hier im Ort ein nicht-getesteter Infizierter begegnet?

Als Quelle nutze ich dieses Mal die Seite www.corona.karlsruhe.de, die mir aktuelle Zahlen zum gestrigen Dienstag für die Stadt und den Landkreis liefert. Da Eggenstein direkt an den Stadtkreis angrenzt, scheint mir das eine sinnvolle Entscheidung. And here we go:

Am 21. April sind in Karlsruhe Stadt und Landkreis 1248 Menschen positiv auf das Virus getestet. Davon gelten 601Personen als wieder genesen. Diese Zahl subtrahiere ich kühn von der Gesamtzahl – denn mir geht es ja um die derzeit Erkrankten und damit Ansteckenden – und komme somit auf 647 Menschen. Nun sind genau diese gerade nicht in der Öffentlichkeit unterwegs, sondern befinden sich in Quarantäne, haben aber natürlich bereits andere Leute angesteckt.

Für alle weiteren Berechnungen begebe ich mich in ganz trübe Gefilde, indem ich die „Dunkelziffer“ der Infizierten abschätze. Wie der Name schon sagt und meine Recherchen bestätigen, ist diese Ziffer sehr unscharf, weil man einfach noch zuwenig weiß über Verbreitung des Virus. Deshalb entscheide ich mich für den vergleichsweise sehr hohen Faktor 10 mit dem ich die Zahl der Positiv-Getesteten multipliziere.

Demnach wären 6.470 arglose Mitbürger Träger des Virus und stellen meine Dunkelziffer dar. Im untersuchten Gebiet leben offiziellen Angaben zufolge 748.316 Einwohner. Ins Verhältnis gesetzt wären demzufolge 0,86% der hiesigen Bevölkerung oder aufgerundet 9 von 1000 unerkannt infiziert und in der Öffentlichkeit unterwegs.

Nun muss ich nur noch diese Quote auf meinen Wohnort übertragen, in dem 16.455 Menschen leben (Stand Dezember 2019) und komme zum Ergebnis, dass 148 davon unter die Kategorie naVT (nichtsahnende Virus-Träger) fallen.

Und damit bin ich schon (oder endlich) bei meiner Ausgangsfrage und Gefahrenpotentialsanalyse angelangt: Wie wahrscheinlich ist es, dass einer dieser 148 gleichzeitig mit mir an der Gemüsetheke steht?

Angesichts der eh schon spekulativen Natur meiner Berechnungen und den Unwägbarkeiten der Wahrscheinlichkeitsrechnung, muss ich es wohl dabei belassen. Ist sowieso die Frage, ob mir dieses Wissen beim nächsten Einkauf wirklich weiterhilft…😷

P.S. Die reinen Zahlen für unsere Kommune auf corona.karlsruhe.de liegen im Übrigen weit unter meinem Ergebnis. In Eggenstein-Leopoldshafen gab insgesamt es bisher 12 Infizierte, davon gelten am 21. April 11 Personen wieder als genesen. Meiner Dunkelzifferberechnung zufolge würden hier also nur 10 Menschen (1 Erkrankter x 10) zu den naVT zählen. Na dann…