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Slow down Slow Month

Slow Rage

Also, manchmal möchte ich am liebsten einfach dreinschlagen. So viel Dummheit, so viel Möchte-Gern-Gehabe, so viel Selbstgerechtigkeit und Blindheit auf anscheinend allen Kanälen!

Es gab Zeiten, da wusste man noch, wohin man schlagen musste, um den vermeintlich richtigen zu treffen. Aber auch die haben sich geändert – wie so vieles. Seit einigen Wochen beobachte ich ein merkwürdiges Phänomen: Sobald ich meine Wut auf ein Ziel ausrichte, verschwimmt es mir förmlich vor den Augen und direkt daneben taucht eine weitere Zielscheibe auf, die gleich darauf auch wieder aus dem Blickfeld driftet. Kurz gesagt: Ich weiß nicht mehr, wohin mit meiner Wut.

Nur ein Beispiel: Ich höre Morgenradio und rege mich einmal mehr über die Zahlen auf, die sich seit einem Jahr erbarmungslos über die Hörerschaft ergießen (Neuinfektionszahlen, Inzidenzwerte, Todesfallzahlen, Impfzahlen, etc.). Zahlen ohne rechten Zusammenhang und Relation; Zahlen, die unbedingt zu interpretieren und einzuordnen wären oder besser ganz aus den Kurznachrichten verschwinden würden.

Während ich mich also eben noch gepflegt über die Einfalt der Darstellung beim Deutschlandfunk aufrege, fällt mir ein, dass andere mit diesen durchaus fragwürdigen Zahlen gleich die ganze Pandemie in Frage stellen; sie prangern eine „Corona-Diktatur“ an und setzen sich dreist über geltende Regeln hinweg.

Und so verrutscht meine Wut in Richtung dieser sogenannten Corona-Leugner und versucht sich gerade noch dort anzuheften, als ich im Netz Kommentare lese, die vor Hohn und Verachtung für jene Menschen nur so triefen; und schon rollt meine Wut auf die hasserfüllten anonymen Verfasser zu. Von dort ist es nicht weit zu den sogenannten Sozialen Medien und deren enormen Einfluss auf Nutzer und Gesellschaft. Und schließlich landet das, was noch an Ärger übrig ist, bei Facebook, Google und Twitter – der ungefähr größten Zielscheibe, die man sich denken kann – und verschwindet.

Was ist passiert: Durch die ständige Ablenkung hat meine Wut deutlich an Schlagkraft verloren; nach der fünften Wendung ist im Grunde kaum noch was davon übrig. Zurück bleibt ein Gefühl der Verwirrung und Vernebelung und tatsächlich auch der Verlangsamung. Ohne es zu wollen habe ich anscheinend eine neue Disziplin der Entschleunigung entdeckt: Slow Rage!

Ob das ein Tool werden könnte gegen Hass und Hetze online und auf der realen Straße? Man müsste nur vor jeder Äußerung oder Handlung den Blick durch den (virtuellen) Raum schweifen lassen und die Wut wie eine Billardkugel auf den Weg schicken. Die rollt irgendwann aus und bleibt liegen oder verschwindet mit einem Plob in einem der Löcher.

Ok, das Bild hinkt: Bis eine Billardkugel wieder ruhig auf dem Tisch liegt, hat sie meist schon einige gegnerische Kugeln aus dem Weg geräumt…

Aber besser ein hinkendes Bild als blinde Wut – oder was war der Punkt? Genau: Ich wollte eigentlich irgendwo reinschlagen…

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Nüchterne Zahlen

Nach der emotionalen Achterbahn ausgelöst durch die gestrige Einkaufserfahrung sitze ich heute eher ernüchtert am Schreibtisch. Was hat mich da eigentlich getrieben?

Um die Dinge etwas in Relation zu setzen, zücke ich wieder meinen Taschenrechner für ein von allen Seiten anfechtbares Rechenexempel, und frage: Wie wahrscheinlich ist es, dass mir hier im Ort ein nicht-getesteter Infizierter begegnet?

Als Quelle nutze ich dieses Mal die Seite www.corona.karlsruhe.de, die mir aktuelle Zahlen zum gestrigen Dienstag für die Stadt und den Landkreis liefert. Da Eggenstein direkt an den Stadtkreis angrenzt, scheint mir das eine sinnvolle Entscheidung. And here we go:

Am 21. April sind in Karlsruhe Stadt und Landkreis 1248 Menschen positiv auf das Virus getestet. Davon gelten 601Personen als wieder genesen. Diese Zahl subtrahiere ich kühn von der Gesamtzahl – denn mir geht es ja um die derzeit Erkrankten und damit Ansteckenden – und komme somit auf 647 Menschen. Nun sind genau diese gerade nicht in der Öffentlichkeit unterwegs, sondern befinden sich in Quarantäne, haben aber natürlich bereits andere Leute angesteckt.

Für alle weiteren Berechnungen begebe ich mich in ganz trübe Gefilde, indem ich die „Dunkelziffer“ der Infizierten abschätze. Wie der Name schon sagt und meine Recherchen bestätigen, ist diese Ziffer sehr unscharf, weil man einfach noch zuwenig weiß über Verbreitung des Virus. Deshalb entscheide ich mich für den vergleichsweise sehr hohen Faktor 10 mit dem ich die Zahl der Positiv-Getesteten multipliziere.

Demnach wären 6.470 arglose Mitbürger Träger des Virus und stellen meine Dunkelziffer dar. Im untersuchten Gebiet leben offiziellen Angaben zufolge 748.316 Einwohner. Ins Verhältnis gesetzt wären demzufolge 0,86% der hiesigen Bevölkerung oder aufgerundet 9 von 1000 unerkannt infiziert und in der Öffentlichkeit unterwegs.

Nun muss ich nur noch diese Quote auf meinen Wohnort übertragen, in dem 16.455 Menschen leben (Stand Dezember 2019) und komme zum Ergebnis, dass 148 davon unter die Kategorie naVT (nichtsahnende Virus-Träger) fallen.

Und damit bin ich schon (oder endlich) bei meiner Ausgangsfrage und Gefahrenpotentialsanalyse angelangt: Wie wahrscheinlich ist es, dass einer dieser 148 gleichzeitig mit mir an der Gemüsetheke steht?

Angesichts der eh schon spekulativen Natur meiner Berechnungen und den Unwägbarkeiten der Wahrscheinlichkeitsrechnung, muss ich es wohl dabei belassen. Ist sowieso die Frage, ob mir dieses Wissen beim nächsten Einkauf wirklich weiterhilft…😷

P.S. Die reinen Zahlen für unsere Kommune auf corona.karlsruhe.de liegen im Übrigen weit unter meinem Ergebnis. In Eggenstein-Leopoldshafen gab insgesamt es bisher 12 Infizierte, davon gelten am 21. April 11 Personen wieder als genesen. Meiner Dunkelzifferberechnung zufolge würden hier also nur 10 Menschen (1 Erkrankter x 10) zu den naVT zählen. Na dann…

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Nachgerechnet

Anscheinend sind die Maßnahmen, die die Bundesländer zur Eindämmung des Corona-Virus verordnet haben, insofern erfolgreich, als sich die Zahl der Neuinfizierten in einem Rahmen bewegt, der für das Gesundheitssystem zu bewältigen ist. Was aber bedeutet diese gute Nachricht für unseren weiteren Umgang mit der Pandemie?

Dieser Frage möchte ich mal wieder mit einem kleinen Rechenexperiment* nachgehen. Wir wissen: Die Anzahl der Neuinfizierten lag heute sowie in den letzten Tagen bei ungefähr 2.500. Für meine Berechnungen erhöhe ich sie etwas, auch weil nach einer Lockerung der ganz strikten Regeln eine leichte Erhöhung der Ansteckung zu erwarten ist.

Gehen wir also davon aus, dass sich in Deutschland weiterhin täglich 3.000 Menschen neu mit dem Corona-Virus infizieren. Dann wären nach einem Jahr 1.095.000 Menschen mit dem Erreger in Kontakt gekommen und hoffentlich immun. Um die angestrebte Herdenimmunität🐑 zu erreichen muss ein Großteil einer Population immun oder geimpft sein. Gehen wir hier von 70% aus, dann wären das in Deutschland 56 Millionen Menschen. Diesen Stand hätten wir bei der jetzigen Zunahme in gut 51 Jahren erreicht😊.

Stehen wir damit etwa gemeinsam vor einem historisch einmaligen globalen Generationenprojekt 🌍des Abstandhaltens, der Minimalproduktion und des Konsumverzichts, mit dem gleichzeitig auch noch sämtliche Klimaziele eingehalten würden?

Ich fürchte, es wird vorher ein passender Impfstoff gefunden…😉


* Das Experiment genügt wahrscheinlich keinerlei wissenschaftlichen Ansprüchen und lässt sich nur durch meine Freude am Zahlenspiel rechtfertigen🙂.

🐑 So ein schöner medizinischer Begriff! Wer mehr wissen möchte: https://de.wikipedia.org/wiki/Herdenimmunität

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Zahlenspiele

Zahlen spielen eine herausragende Rolle seit die Gefährlichkeit des Corona-Virus in der Millionenstadt Wuhan entdeckt wurde. Immer wieder wurden Zahlen der Infizierten und Toten genannt. Zum festen Teil meines Tagesbeginns wurden sie schließlich ab dem ersten gemeldeten Fall in Deutschland. Seither verging kein Morgen ohne Nennung der aktualisierten Zahlen in doppelter Ausführung, denn das Robert-Koch-Institut und die Johns-Hopkins-Universität haben unterschiedliche Strategien, also auch dauerhaft abweichende Zahlen. Ich beziehe mich in diesem Beitrag der Einfachheit halber nur auf die RKI-Zahlen.

Fünfundneunzigtausenddreihunderteinundneunzig Infizierte wurden heute Morgen gemeldet und eintausendvierhundertundvierunddreißig Todesfälle. Im Vergleich zu den gestrigen Zahlen bedeutet dies einen Zuwachs von dreitausendsechshundertundsiebenundsiebzig Infizierten, sowie zweiundneunzig Todesfällen. In Ziffern: 95 391 / 1434 / 3677 / 92

Nun haben wir das schwarz auf weiß. Und nun? Was wollen uns diese nackten Zahlen sagen? Was machen wir mit diesen Zahlen, bzw. was machen diese Zahlen mit uns? Inwieweit tragen sie zur allgemeinen Information bei?

Mich haben sie von Anfang an eher irritiert, weil sie mehr Fragen ausgelöst als beantwortet haben. Zurück blieb ein diffuses Angstgefühl, das ich so nicht stehenlassen wollte.

Eigentlich mag ich Zahlen nämlich gerne. Sie laden mich immer direkt ein, etwas mit ihnen anzustellen. Ich kann an keinem Grabstein vorbeigehen, ohne das Lebensalter des Verstorbenen anhand der beiden Jahreszahlen auszurechnen.

Insofern reizen mich auch die morgendlichen Corona-Zahlen und ich spiele mit ihnen verschiedene Modelle durch, um sie für mich zu deuten. In welchem Verhältnis stehen sie zu einander? Was passiert, wenn ich sie in einen bestimmten Zusammenhang stelle?

Für die heutigen Berechnungen habe ich mich meinem eigenen halbwegs überschaubaren Umfeld zugewandt – dem Landkreis Karlsruhe. Die Zahlen sind vertrauenswürdigen Ministeriumsquellen entnommen, aber ich füge mal vorsichtshalber hinzu: Ohne Gewähr!

Der Landkreis hat 442 700 EinwohnerInnen. Davon sind 505 Menschen mit dem Corona-Virus infiziert (Stand 05.04.), was einen Anteil von 0,11% ergibt; das heißt auf 1000 BewohnerInnen kommt etwas mehr als ein Infizierter. Hochgerechnet auf 100 000 EinwohnerInnen entspricht dies 113,7 Fällen was wiedrum die Infektionsrate (gemeldete Infektionen pro 100 000 Einwohner) für den Landkreis Karlsruhe darstellt.

Wenn ich mir nur diese Zahlen anschaue, erscheint mir die Lage hierzulande recht überschaubar, selbst wenn die Dunkelziffer der Infizierten deutlich höher sein wird. Ich nutze diese Zahlenspiele also, um meinem Angstgefühl etwas entgegenzusetzen. Ein anderer mag das Ganze völlig anders interpretieren und wird durch sie eher alarmiert und in Sorge versetzt.

Genauso ist für mich, die ich nur ungern Auto fahre, die Zahl der Verkehrstoten aus dem Jahr 2019 mit 3059 ein klares Zeichen dafür, dass unbedingt ein Tempolimit her muss, während ein leidenschaftlicher Motorist darauf hinweisen wird, dass wir verkehrspolitisch auf dem richtigen Weg sind, weil die Quote seit den 50er Jahren nicht mehr so niedrig war.

Die Vermutung liegt nahe, dass sich mit den identischen Zahlen fast jede bereits vorhandene Einstellung begründen lässt.